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Toter Nachbar in Badewanne – Eine Kurzgeschichte

Zu Beginn


Heute auf Deutsch. Heute um mich. Und meinen toten Nachbarn. Ja, das klingt makaber – war es auch.


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Dies ist ein Experiment. Wenn du dies liest, melde dich doch gerne bei mir – so kann ich die endlose Diskussion mit mir selbst beenden, die sich da um die heillose Frage dreht „Für wen schreibst du hier eigentlich?“. Wobei ich die Antwort eigentlich schon lange kenne: für mich. Ich schreibe für mich. Schreiben macht Spaß.


Tu, was deine Leidenschaft ist! – haben sie gesagt.
Mach deine Leidenschaft zum Beruf! – haben sie gesagt. Ähm, ja.

Zum Nachbar


Es war einmal als ich noch in London studierte. Da wohnte ich in einem Mehrfamilienhaus und mietete in diesem ein Zimmer. Das Zimmer verfügte über alle Bequemlichkeiten: Bett, Schrank, Küchenzeile und Waschbecken im selbigen (ja, als Student fängt man klein an). Das Badezimmer mit Badewanne teilte man sich allerdings mit dem gesamten Haus. WC war separat. So war das.



Ok – eigentlich kein Ding, dachte ich mir, als ich zu Beginn des Wintersemesters meinen Koffer keuchend über die Türschwelle hievte und auf den befleckten Teppich plumpsen lies. Schön hier. Und ein großes Fenster hatte ich auch, mit Blick auf den hauseigenen Garten. An der Fensterscheibe bahnten sich die Regentropfen ihren Weg der Gravitation entgegen. Londoner Wetter, romantisch.


So vergingen die ersten paar Wochen. Die Uni machte Spaß, das Wetter weniger und ich machte Nudeln. Oder was eben günstig zu haben war. Ich hatte meinen Barista-Job bei Starbucks an der Oxford Street an den Nagel gehängt, weil ich mich zum einen mehr auf die Uni konzentrieren wollte (es wurde zunehmend intensiver) und zum anderen hatte ich die Sommerpause außerhalb Englands verbracht (ein „hop-on-hop-off“-Arbeitsverhältnis fand mein Chef nicht sonderlich berauschend – aber vielleicht hatte ich auch nur schlecht gepitcht).


Was ich allerdings nicht an den Nagel gehängt hatte, waren die Londoner Feiernächte in diversen - mal mehr, mal weniger ominösen - Clubs und Bars. Als ich nun eines Abends von einer solchen Feiertour nach Hause pilgerte, müde und die High Heels über der Schulter baumelnd, steuerte ich geradewegs die Badezimmertür an.


Einmal Türknopf drehen, verschlossen.

Einmal lauschen, Wasser läuft.


Fair enough - , dachte ich mir. Dann dusche ich eben später. Aus später wurde morgen, da ich erschöpft und mit derangiertem Gleichgewichtssinn schnell in den Schlaf fiel. Als ich dann am nächsten Morgen die Kaffeetasse von meinen Lippen absetzte und auf den Tisch beförderte, wollte ich mein Duschglück erneut versuchen.


Ich verließ mein Zimmer, stieg die paar Stufen zur Badezimmertür hinab und drehte am Türknopf. Wieder verschlossen. Wieder Wasserrauschen. Das muss am Karma liegen, war mein erster Gedanke und verkroch mich zurück in mein Zimmer.


Als nach weiteren zwei Stunden kein Trockenshampoo der Welt mehr meine Frise (und Laune) retten konnte, steuerte ich erneut in Richtung Badezimmer, fest entschlossen den aquaphilen Nachbarn mal ordentlich die Leviten zu lesen (You are not alone, you know?!).


Erneutes Rütteln, Tür zu. Wasser läuft.


Jetzt wurde ich skeptisch und klopfte an die Tür meiner Nachbarn, ein junges Paar aus Brasilien, die ein kleines Café in London betrieben. Ja, sie hätten seit gestern Abend die Tür auch verschlossen vorgefunden. Nein, sie seien nicht im Bad gewesen. Ja, sie haben auch gedacht, dass sich jemand aus dem Haus wohl eine lange Auszeit im Bad gönnt. Nach einigem Hin und Her – und der Erklärung, dass in diesem Haus ein älterer Herr lebt – fanden wir drei uns sehr besorgt um die Badezimmertür stehend wieder und riefen abrupt die Polizei.


Polizei kommt. Bricht Tür auf.


So war es und bedarf keiner großen Worte mehr. Ich habe den Nachbarn vorher nie gesehen. Und in die Badewanne konnte ich auch noch lange danach nicht mehr einsteigen. Es bedurfte einiger Stunden an Reflexion über viele Dinge im Leben, einer guten Freundin und einer Kerze, bis ich den Raum wieder betreten konnte.


Zum Ende


Jetzt kennt ihr die Geschichte. Moral? Lebenserfahrung? Ich weiß es nicht. Einschneidend? Alle mal. Und ein bisschen gruselig. Aber aus dem Leben.


Ist es mir nun leichter ums Herz? Ja. Weil ich geschrieben habe.


 

Photo by Joshua Bartell on Unsplash

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